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Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht – wie geht es weiter?

19. Juni 2016

Gutachten „Die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung des BVerfG vom 12. November 2015“ vom 2.Juni 2016

Es folgen die wesentlichen Ergebnisse des Rechtsgutachtens, Teil 1, von Prof. Brüning – zur Entscheidung des BVerfG vom 12.November 2015:

1. Was ist der Inhalt der BVerfG-Entscheidung?
Das BVerfG hat nicht das KAG und auch nicht die Heranziehung sog. „Altanschließer“ zu Anschlussbeiträgen für verfassungswidrig erklärt. Eine Verfassungswidrigkeit sah das BVerfG vielmehr ausschließlich bei der vom OVG Berlin-Brandenburg seit 2007 im Anschlussbeitragsrecht vorgegebenen rückwirkenden Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. in bestimmten Fällen.
2. Welche Fälle sind von der BVerfG-Entscheidung betroffen?
Die Entscheidung des BVerfG umfasst nicht nur sog. „Altanschließer“. Es können vielmehr grundsätzlich alle Grundstücke betroffen sein, die vor dem 01.01.2000 an eine zentrale öffentliche Einrichtung der Wasserver-/Abwasserversorgungseinrichtung anschließbar waren.
3. In welchen Fällen ist die Rückzahlung von Beiträgen erforderlich?
      Rückzahlung von betroffenen Beiträgen? 
   Nicht bestandskräftige Bescheide       Bestandskräftige Bescheide
  (ca. 210 Mio. Euro)*¹      (ca. 400 Mio. Euro)*²
   Aufhebung der Bescheide;       – Keine rechtliche Verpflichtung zur
   Rückzahlung ist verpflichtend    Rückzahlung
     – Vollstreckungsverbot für noch nicht
        gezahlte Teile des Beitrags (z.B. bei
        Ratenzahlung), § 79 BVerfGG
     –  Freiwillige Beitragsrückzahlung
         zulässig, § 130 Abs. 1 AO
4. Wie wirkt sich eine Beitragsrückzahlung auf die Gebühren aus?
Beiträge und Gebühren bilden eine Finanzierungseinheit. Einnahmen aus Beiträgen sind von den Aufgabenträgern – in jährlichen Teilbeträgen – in Form von Abzugskapital gebührensenkend ein-zusetzen. Von dieser gebührensenkenden Funktion dürfen nur diejenigen profitieren, bei denen für das Grundstück über die Zahlung von Anschlussbeiträgen zur Finanzierung tatsächlich beigetragen wurde. Für Grundstücke, bei denen der Beitrag infolge der BVerfG-Entscheidung (pflichtig oder freiwillig) zurückgezahlt wird, müssen daher künftig höhere Benutzungsgebühren entrichtet werden als für Grundstücke, für die keine Beitragsrückzahlung erfolgt.
Zwangsläufige Folge:
künftig unterschiedliche Gebühren für Beitragszahler/Nicht-Beitragszahler
(sog. „gesplittete Gebühren“)
________________________________
¹/² Schätzungen/Hochrechnungen des Landeswasserverbandstages Brandenburg e.V.
   Eine gesplittete Gebühr muss nicht erhoben werden, wenn
– weniger als 10 % aller jemals erlassenen Beitragsbescheide beim
   jeweiligen Aufgabenträger von der Rückzahlung betroffen sind oder
– der Aufgabenträger alle jemals von ihm erhobenen Beiträge erstattet
   (Umstellung auf reine Gebührenfinanzierung).
Bescheide, aus denen (z.B. wegen Ratenzahlung) noch nicht vollständig gezahlt wurde: Wegen des Vollstreckungsverbotes ist es trotz Bestandskraft geboten, die schon vereinnahmten Teilbeiträge freiwillig zurückzuzahlen. Ansonsten sind wegen der Unterschiedlichkeit des Zahlungsgrades der einzelnen Fälle die gebührenrechtlichen Auswirkungen durch die jeweiligen Aufgabenträger nicht handhabbar (faktische Unmöglichkeit einer rechtssicheren Gebührenkalkulation           ———>   erhebliche prozessuale Risiken).
 5. Welche Finanzierungsprobleme ergeben sich für die Kommunen?
Rückzahlung des gezahlten Beitrags muss zu 100 % erfolgen, Refinanzierung ist jedoch
aus Gebühren nicht vollständig möglich
——–>  Finanzierungslücke von ca. 40 bis 50%3
Grund: Die bisherige jahresweise Gebührensenkung durch Beiträge darf wegen des Grundsatzes der „Periodengerechtigkeit“ der Gebührenkalkulation nicht mehr kompensiert/rückgängig gemacht werden. Der Vorteil der zu geringen Gebühr in der Vergangenheit verbleibt damit bei den betroffenen Bürgern.
Zudem entsteht eine zweite Finanzierungslücke, da folgende Kosten der Aufgabenträger gar nicht über Gebühren refinanzierbar sind:
– Kosten der Bearbeitung von Rückforderungsanträgen,
– Kosten der Rechtsverfolgung von Beitragsschuldnern,
– Prozesskostenerstattungen sind nicht gebührenfähig,
– Rückzahlung von Säumniszuschlägen, Stundungszinsen und   Mahngebühren
Folge:
Aufgabenträger können diese Finanzierungslücken nur durch Verbandsumlagen
(Zweckverbände) bzw. durch Erhöhung von Steuern oder/und Reduzierung freiwilliger Aufga­ben (Gemeinden) decken.
 __________________________
 3 Nach Angaben des Landeswasserverbandstages Brandenburg e.V.
6. Welche haftungsrechtlichen Ansprüche gibt es?
Amtshaftungsansprüche gegen die Aufgabenträger oder das Land scheiden aus.
Es besteht allerdings ein Prozessrisiko für die Aufgabenträger (vor allem bei den bestandskräftig gewordenen Bescheiden), aus dem in Brandenburg als Landesrecht weiter geltenden Staatshaftungsgesetz der DDR in Anspruch genommen zu werden. Auch wenn rechtliche Argumente einer solchen Inanspruchnahme entgegengehalten werden könnten, ist offen, ob diese vor den letztlich entscheidenden Zivilgerichten durchgreifen und standhalten. Schadensersatzansprüche umfassen nicht nur den gezahlten Beitrag, sondern darüber hinaus auch weitere Schadenspositionen umfassen (z.B. Kosten der Rechtsverfolgung und ggf. Verzinsung).
Folge bei Inanspruchnahme:
Aufgabenträger hat keine Möglichkeit zur Refinanzierung des Schadensersatzes aus Gebühren (d.h. insoweit vollständiger Refinanzierungsausfall; lediglich Kompensation aus Verbands­umlagen bzw. gemeindlichen Steuermitteln möglich).

Wesentliche Ergebnisse des Gutachtens von Prof. Brüning – BVerfG-BEschluss 2015

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